Alle Lust will Ewigkeit

Das Motiv des Totentanz entgrenzen bis hinein in die Lust am Schwindel und am Verschwinden im Tanz der Pinsel - so die Ankündigung der Ausstellung  "Dance me to the end of Love. Ein Totentanz" im Bündner Kunstmuseum Chur.

 

Die Ausstellung, die sich assoziativ mit dem Totentanz und anlehnenden Motiven beschäftigt und dabei sehr faszinierende Fäden und Bögen spannt - von der titelgebenden Lyrik Leonard Cohens hin zu den Körperaktionen Carolee Schneemanns, von Ernst Ludwig Kirchners Skzizzen der Totentänze Mary Wigmans zu Andy Warhols Naked Tango, von Herman Nitschs Blut-Mysterien-Spielen hin zu den Furien-/Mänaden-Geschichten, von  Nijinskis Todessehnsucht zu Texten Ingeborg Bachmanns - läuft noch bis zum 22. November 2020.

 

Dieser Ritt durch Jahrhunderte und Genres, der in der aufgezählten Form dann tatsächlich Schwindel erregt, leuchtet aber auch unmittelbar ein, wenn wir zu den Ursprüngen des Totentanz, des Danse Macabre zurück gehen.

 

Die Geschichte des Totentanzen begann 1424 in Paris. Auf den Arkaden des Friedhofs von Aux St. Innocents wurde erstmals ein Totentanz aufgestellt. Seine Bezeichnung war „danse macabre“. Ob dieser Ausdruck tatsächlich zurück geht auf das französische macabre (makaber) oder auf das arabische maqabir (Grab) ist nicht hinreichend geklärt.

Belegt ist jedoch der Auslöser für diesen ersten Totentanz: das war die Pest, der „schwarze Tod“ von 1348-53, der etwa ein Drittel der Bevölkerung Europas hinwegraffte.

Das Narrativ des ersten Totentanzes war eine schon zuvor überlieferte Geschichte, die sich mit der Pest auseinandersetzt:  Drei junge Adelige auf der Jagd stehen betroffen vor den Leichen ihrer Vorgänger. In die Jagd, den Ritus des Lebens und der Macht, mischt sich Entsetzen.

Die Botschaft in dieser Legende:  "Was ihr seid, das waren wir, was wir sind, das werdet ihr sein".

 

Nach dem Pariser Original folgte der berühmte Totentanz von Basel – „Dodten dantz“ und über die Jahrhunderte hinweg viele weitere Totentanzlegenden – in Form von szenischen oder bildnerischen Darstellungen, mit und ohne Texte/Vertonungen. Bekannt auch viele mehrteilige Bildtafeln, auf denen Vertreter von Kirche und Staat zum Totentanz aufgefordert wurden.

 

Eine klare gesellschaftskritische Hinterfragung von Verantwortlichkeiten in Kriegs- und anderen Krisensituationen - Totentänze protestieren oft wild gegen die alte Gesellschaftsordnung.

 

Genau das macht den Totentanz so aktuell. Wer sich mit ihm beschäftigt, beschäftigt sich mit den Problemen von heute. Und hier sind die Vertreter*innen der zeitgenössischen Kunst und Popkultur klar in ihrem Element: Entgrenzung, Freiheitsbegehren, Subversion, Heilung Unsterblichkeit schaffen im Schöpferischen…

 

Der nun parallel zur Ausstellung vorgelegte Katalog ist ein Augenschmaus. Die Textcollagen verbinden sich mit den bildnerischen Werken zu einem eigenwilligen Tanz, der einlädt auf alle denkbaren Abwege zu geraten und sich taumelnd zu verlieren in der ewigen Lust und im Spiel mit der "Drüben"-Welt.

 

 

 

Dance me to the end of Love

Ein Totentanz

Herausgeber: Stephan Kunz und Stefan Zweifel

Verlag Scheidegger & Spiess

Zürich. 2020

ISBN: 978-3-03942-000-1

Foto: DANSE MACABRE. Rekonstruktionen der Totentänze I und II von Mary Wigman. Städtische Bühnen Osnabrück. 2015