Kunst aus Körperbewusstsein

Die 1919 geborene und 2017 verstorbene österreichische Künstlerin Maria Lassnig erforschte über viele Jahrzehnte, wie sie sich als Körper und durch diesen wahrnahm. Da ihr eigenes inneres körperliches Empfinden maßgeblich war und nicht die nach Außen gerichtete Darstellung desselben, versetzt sie sich beim Malen in einen meditativen Zustand, um den "Empfindungen in ihrem Körpergehäuse" nachzuspüren.

Fotos zeigen die Künstlerin, wie sie neben der Leinwand auf dem Boden liegt und mit geschlossenen Augen, ganz ihrem Gefühl gehorchend, den Pinsel führt. Ihr Bauchgefühl wurde zur Darstellung eines Bauches, der gefühlte Körper zum Bild. Bei diesem auszehrenden Schaffensprozess müssten frühere Werke umgedreht bleiben, damit sie nicht die aktuelle Gefühls-Situation verwirren: „Wer sich gerade leicht fühlt und auf eine Erinnerung bleierner Schwere blickt, der stürze möglicherweise ab.“

Schon ihre erste Einzelausstellung, 1948 in einem durch den Krieg in eine Ruinenstadt verwandelte Wien trug den Titel "Körperbewusstseinszeichnungen"

Das eigene Körperbewusstsein - ihr roter Faden im künstlerischen Schaffen, lange bevor Körpersprache, Körpergefühl, Körperkunst Begriffe wurden im avantgardistischen oder feministischen Kunstkontext.

Das Körperbewusstsein als Ausgangsbasis, nicht als Verengung auf ein Thema oder eine Gedankenwelt. Das Konvolut ihrer Gemälde, Zeichnungen (und Kurzfilme) enthält neben den Selbstportraits auch Werke zu der Beziehung zwischen Mensch und Natur, zu Technik, zu Zukunftsvisionen, zu Krieg und Gewalt etc.

Über die Jahre hinweg entwickelt sie ein vielschichtiges System, um den Körpersignalen auch bestimmte Farben zuzuordnen: „Gedanken-, Geruchs-, Schmerz-, Qual-, Todes- und später speziell auch Krebsangst-Farben“.

Ihre Bilder sind roh, unmittelbar, von extremen Empfindungen gezeichnete Werke, die auch die Betrachtenden nicht loslassen, die einem selbst ins Körperbewusstsein fahren, einem mitunter den Atem nehmen.

"Der Rhythmus des Malens soll sein wie Atemstöße, wenn uns das Leben würgt."

Den Lebensweg dieser einzigartigen Künstlerin, die sich nie einer Schule oder einer bestimmten Künstlergruppe zurechnen lies, die stets Einzelgängerin war, ein Leben lang auch haderte mit ihrem Vermögen, den Körper als bewusste Quelle und Material ihrer Werke einzusetzen, beschreibt Natalie Lettner tiefgründig und lebhaft zugleich  in der ersten umfangreichen Biographie über Maria Lassnig.

Natalie Lettner:

Maria Lassning – Die Biografie.

Brandstätter, Wien 2017

ISBN 978-3-85033-905-6

 

Die in diesem Text kursiv gesetzten Textstellen/Zitate stammen von Maria Lassnig selbst.