Im Werk von Sophie Calle geht es um die Aufhebung des Privaten, um das Aufdecken und Beenden vermeintlich Persönlichem, um die Suche nach Geheimnissen, um die Grenzen von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Und sie geht dabei immer auch an die eigene Schmerz- und/oder Lustgrenze.
Die 1953 in Paris geborene Künstlerin scheut keine Einblicke in die eigene wie in die Intimsphäre der Anderen.
Wenn man ihren eigenen Rückblicken Glauben schenken mag, liebte sie es schon als Kind vor dem Schlafengehen noch einmal eben nackig im Fahrstuhl durchs Haus zu fahren.
Ihre erste bekannte künstlerische Aktion entstand aus dem Gefühl nicht recht zu wissen, welcher - nach Beendigung von Schule und einer längeren Reise - der nächste Schritt sein könnte: in dieser leichten Langeweile begann sie Menschen über Stunden und Tage zu verfolgen und bei ihren alltägliche Gängen und Handlungen zu fotografieren, ohne sich den Personen weiter zu nähern. Einem Mann folgte sie in dieser Weise bis Venedig. Die „Beschattung“ endete vor seiner Hoteltür.
Nach dem „Aus“ vor der Hoteltür in Venedig heuerte Sophie Calle direkt in einem Hotel als Zimmermädchen an und schnüffelte gründlich mit Fotokamera durch das Gepäck und die Betten der Zimmerbewohner*innen und veröffentlichte „das Gefundene“ in Form von anonymisierten Geschichten.
Auch sich selbst hatte Calle schon beschatten lassen; ihre Mutter hatte auf ihren Wunsch hin einen Detektiv damit beauftragt. Später wird sie ihrer Mutter ein filmisches Gedenken der ebenso grenzenlos-intimen Art widmen: sie filmt sie über viele Stunden hinweg beim Sterben.
Sophie Calle lädt ein in ihrem Bett neben ihr zu nächtigen; sie verliest öffentlich die Liebesbriefe eines Verflossenen; sie kopiert im Café das Adressbuch eines Unbekannten und nimmt Kontakt zu dessen Freundeskreis auf; sie lässt aus der einen die nächste Aktion/Performance entstehen.
Sie „schnüffelt“ für ihre (Er)-Forschung der menschlichen Bedürfnisse und Gefühle bewusst herum, nichts bleibt im Verborgenen. Sie drängt sich in das Leben fremder Menschen und lädt im Gegenzug aber auch in ihr eigenes – immer wieder.
Aber heute gilt sie längst nicht mehr als die fragwürdige Voyeuristin, als die sie in jungen Jahren abgestempelt und die für ihre Aktionen auch mehr als einmal angezeigt wurde.
Sophie Calle zählt heute zu den wichtigsten lebenden Performance- und Konzeptkünstlerinnen Frankreichs. Seit über 30 Jahren genießt sie internationale Aufmerksamkeit durch ihre Solo- und Gruppenausstellungen und die Teilnahme an Biennalen. Im Jahr 2007 war sie offizielle Repräsentantin von Frankreich auf der Biennale in Venedig.
Aktuell zeigt das Fotomuseum Winterthur noch bis 25.8 eine Werkschau der Künstlerin.