Gastbeitrag I #schicksalistzufall

Sechs Szenarien und ein Atemzug

Schicksal und Zufall

 

Dieses Jahr steht mein sechster Atelierwechsel bevor. Jedes Mal ein neues Szenarium und hoffnungsvoller Neuanfang. Aber ein in der Vergangenheit geplanter Atelierumzug, welcher aber einwandfrei scheiterte, gab mir Zeit aufzuatmen. Ich hatte dann für eine Weile keinen Arbeitsraum, jedoch mehr Zeit.

 

Es war einmal ein schöner, frostiger Berliner Wintertag. Mein jüngerer Sohn war in der ersten Klasse und wünschte sich, dass ich mich hübsch anziehe und pünktlich zur Weihnachtsfeier seiner Klasse eintreffe. Ich kippelte mit den hohen Schuhabsätzen freudestrahlend hin und her und rutschte auf dem Parkplatz aus und fiel hin. Ich wusste erstmal nicht genau, was mehr weh getan hat, die Wunden an den Knien, oder die Rippen an der Seite. Brav aufgestanden schaute ich mir den äußerlichen Zustand meiner Kleidung an und entschied mich doch lieber pünktlich statt schick in der Schule anzukommen. Die Feier war aber wunderschön.

 

Meine angebrochene Rippe zwang mich dann in den nächsten Wochen im Bett zu liegen und genau zu erkunden, wie der Mensch so atmet: mehrmals flach und dann einmal tief. Die tiefen Atemzüge waren um Einiges schmerzhafter als die Flachen. Die bangende Langeweile schmerzte aber auch und was macht man dann dagegen – Lesen! Da hatte ich endlich Zeit die liegengebliebenen Fachbücher, Zeitschriften und Kataloge über Kunst in verfügbarer Ruhe zu lesen und das auch richtig genießen zu können.  Ich vertiefte mich in Künstler-Retrospektiven, Biennale in Venedig, die Restaurierung barocker Kirchen, kulturpolitischen Analysen und die Legenda Aurea. Da fiel mir plötzlich wieder ein, was ich eigentlich gerne später machen wollte, als die Kinder noch klein waren: Kunstgeschichte studieren. Das war das Schicksal, welches mich gezwungen hat, anzuhalten und einzuatmen, mehrmals flach und ein Mal tief, um mich zu erinnern, wohin ich gehen wollte. Ich habe das nur vergessen, bis der Zufall mich eingeholt hat und mir den Fuß gestellt hat um mich zu zwingen den tiefen Atemzug zu erkennen.

 

Juliana Hellmundt

Dipl. Holzbildhauerin und Kunsthistorikerin 

Geboren in Bulgarien

Freiberuflich tätig als Künstlerin und Kunsthistorikerin, lebt und arbeitet in Berlin

 

Juliana Hellmundt

www.jh-galerie.de

Atelier 431

Pestalozzistr. 5-6

13187 Berlin

 

Ich freue mich auf weitere Beiträge! Die Blogparade läuft bis Ende September. Hier nochmal die Ausschreibung.